EuGH festigt Schutz älterer Arbeitnehmer – Hartz-Gesetz insoweit nichtig
Ältere Arbeitnehmer dürfen nicht unbegrenzt mit befristeten Verträgen beschäftigt werden
Das Ziel, die berufliche Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer zu fordern, rechtfertigt nicht nationale Rechtsvorschriften, die uneingeschränkt den Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit allen Arbeitnehmern zulassen, die das 52. Lebensjahr vollendet haben.
Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ist ein allgemeiner Grundsatz des
Gemeinschaftsrechts. In diesem Zusammenhang soll mit der Richtlinie 2000/78* ein
allgemeiner Rahmen zur Bekämpfung bestimmter Formen der Diskriminierung - u. a. wegen
des Alters - in Beschäftigung und Beruf geschaffen werden. Eine unmittelbar auf das Alter
gestützte Ungleichbehandlung stellt grundsätzlich eine gemeinschaftsrechtlich verbotene
Diskriminierung dar. Die Richtlinie lässt jedoch zu, dass die Mitgliedstaaten eine solche
Ungleichbehandlung vorsehen, und halt sie für nicht diskriminierend, wenn sie im Rahmen
des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, insbesondere rechtmäßige Ziele aus den
Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt, objektiv und angemessen gerechtfertigt
ist. Daruber hinaus müssen die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und
erforderlich sein.
Das Arbeitsgericht München hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im
Rahmen eines Rechtsstreits, bei dem es um das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete
Arbeitsverträge² (TzBfG) geht, mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, u. a. nach
der Auslegung der Richtlinie 2000/78. Nach dem TzBfG ist der Abschluss befristeter
Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, uneingeschränkt
zulässig, außer in einem spezifischen Fall eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses.
Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rechtsvorschriften klar bezwecken, die berufliche
Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer zu fordern, weil diese erhebliche
Schwierigkeiten haben, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Ein derartiges Ziel ist
grundsätzlich eine "objektive und angemessene" Rechtfertigung einer
Ungleichbehandlung wegen des Alters.
Nationale Rechtsvorschriften wie die des TzBfG gehen jedoch über das hinaus, was zur
Erreichung des verfolgten legitimen Zieles angemessen und erforderlich ist.
Die Mitgliedstaaten verfügen zwar unbestreitbar über einen weiten Ermessensspielraum bei
der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und
Sozialpolitik. Die Anwendung der in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften läuft
nach Ansicht des Gerichtshofes jedoch darauf hinaus, dass allen Arbeitnehmern, die das 52.
Lebensjahr vollendet haben, unterschiedslos- gleichgültig, ob und wie lange sie vor
Abschluss des Arbeitsvertrags arbeitslos waren - bis zum Ruhestand befristete, unbegrenzt
häufig verlängerbare Arbeitsverträge angeboten werden konnen. Diese große, ausschließlich
nach dem Lebensalter definierte Gruppe von Arbeitnehmern läuft damit während eines
erheblichen Teils ihres Berufslebens Gefahr, von festen Beschäftigungsverhältnissen
ausgeschlossen zu sein, die doch einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes
darstellen. In der vorliegenden Rechtssache ist nicht nachgewiesen worden, dass die
Festlegung einer Altersgrenze als solche unabhängig von anderen Erwägungen im
Zusammenhang mit der Struktur des jeweiligen Arbeitsmarkts und der persönlichen Situation
des Betroffenen zur Erreichung des Zieles der beruflichen Eingliederung arbeitsloser älterer
Arbeitnehmer objektiv erforderlich ist.
*Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens fur die
Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16).
²Gesetz uber Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher
Bestimmungen vom 21. Dezember 2000 (BGBl. 2000 I S. 1966).
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Gerichtshof der Europäischen Union
- Entscheidungsart:Urteil
- Datum:22.11.2005
- Aktenzeichen:C-144/04
Quelle:ra-online, Pressemitteilung Nr. 99/05 des EuGH vom 22.11.2005