Diffamierende Kritik ist unzulässig
Zur Abgrenzung der freien Meinungsäußerung zur Schmähkritik
Ein Publizist darf einen Autor und dessen Verleger nicht mit Äußerungen kritisieren, die den Tatbestand der Schmähkritik erfüllen und diesen eine Nähe zu einer nationalsozialistischen, judenfeindlichen Gesinnung unterstellt.
Dies hat das Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen zweier einstweiligen Verfügungsverfahren
entschieden.
Die Verfügungskläger machen Unterlassungsansprüche wegen Persönlichkeits- und
Ehrverletzung geltend. Den Verleger und den Beklagten verbindet eine langjährige
Bekanntschaft und Auseinandersetzung. Der Beklagte ist Publizist und Mitherausgeber einer
Internetseite. Dort veröffentlichte er am 13.07.2005 in der Rubrik „Online-Tagebuch“ einen
Bericht mit der Überschrift „Holo mit H. – Wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler
machen“.
In dem Artikel heißt es: „Mein alter Freund A. M. hat da eine Lücke [im Antisemitismus]
entdeckt, die er fleißig mit braunem Dreck füllt“. Der Verleger sowie der Autor Dr. H. M.
werden als „Kapazitäten für angewandte Judeophobie“ bezeichnet. Anlass für die Äußerungen
war eine Vortragsveranstaltung an der Leipziger Universität, bei der die Kläger zusammen
aufgetreten waren. In einem Vortrag, der von dem Verleger eingeleitet wurde, kritisierte der
Autor die gegenwärtige israelische Politik. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die
Unterscheidung zwischen einem „guten“ und einem grausamen, ethnozentrischen, blut- und
bodenanbetendem Judentum, das angeblich die gegenwärtige israelische Politik präge. Der
Verleger schloss sich in seiner Einleitung des Vortrages der Kritik an Israel an, indem er die
heutige Situation in Israel mit der kurz nach der Machtergreifung 1933 in Deutschland
verglich.
Die Kammer hat ihre einstweilige Verfügungen vom 05.09.2005 teilweise aufrechterhalten
und es dem Beklagten untersagt, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten, dass der Verleger Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck fülle
und die Kläger Kapazitäten für angewandte Judeophobie seien. Hinsichtlich der weiteren
Äußerung, dass die Kläger mit Hitler zu vergleichen seien, hat die Kammer die erlassene
einstweilige Verfügung aufgehoben.
Die Kammer führt in ihrer Entscheidung aus:
Bei den verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Beklagten, der Kläger fülle
Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck, er sei eine Kapazität für angewandte
Judeophobie und mache für die Leipziger den Hitler, handelt es sich durchwegs um die
subjektive Bewertung des Verhaltens des Klägers. Solche Meinungsäußerungen
genießen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Erst dort, wo die Grenze zur Schmähkritik
überschritten wird, ist eine Meinungsäußerung dem Verbot zugänglich. (…) Eine
Schmähkritik liegt nur vor, wenn es bei einer Äußerung nicht mehr um die
Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im
Vordergrund steht.
Diese Grenze zur Schmähkritik ist hinsichtlich der Äußerung, der Kläger fülle "Lücken
im Antisemitismus mit braunem Dreck", überschritten. (...) Mit der Äußerung, (…),
wird dem Kläger, nicht wie vom Beklagten behauptet, „lediglich“ eine „koschere Form
des Antisemitismus“, zugeschrieben bzw. ein Verhalten, das dem Antisemitismus
Vorschub leistet. Vielmehr ist die Äußerung als der Vorwurf zu verstehen, der Kläger
äußere antisemitische Meinungen, die mit denen der Nationalsozialisten zu vergleichen
seien. Durch die Wahl des Ausdrucks „brauner Dreck“ wird auf nationalsozialistisches
Gedankengut Bezug genommen. (…) Wer einer Person eine nationalsozialistische
Gesinnung in Form von Antisemitismus zuschreibt, impliziert damit, dass diese Person
die im Namen des Nationalsozialismus an den Juden begangenen Verbrechen gutheißt.
Eine solche Äußerung kann aufgrund des historischen Bedeutungsgehaltes in
Deutschland nur negativ und diskreditierend verstanden werden.
(...) Auch ist die Grenze zur Schmähkritik hinsichtlich der Äußerung (…), der Kläger
sei eine „Kapazität für angewandte Judeophobie“, überschritten. Damit wird diesem
vorgeworfen, er habe eine besonders intensive judenfeindliche Einstellung. Das Wort
„Judeophobie“ bedeutet zwar wörtlich „krankhafte Angst“ vor den Juden, es wird jedoch auch synonym mit „Antisemitismus“
gebraucht. Seit dem Erscheinen des Buches von Pierre-André Taguieff mit dem Titel
„La Nouvelle Judéophobie“ wird es insbesondere
auch als Bezeichnung für eine neue Form der antijüdischen Einstellung benutzt, bei der
sich Antisemitismus mit Antizionismus verbindet.
(…) Bei der hier zu beurteilenden Bezeichnung als "Kapazität für angewandte
Judeophobie" steht durch die Betonung des Wortes "Kapazität" und des Attributes
„angewandte“ Judeophobie zur Überzeugung der Kammer die herabsetzende Äußerung
und die Diffamierung der Person des Klägers - jenseits polemischer und überspitzter
Kritik - im Vordergrund, zumal der Beklagte in seinem Artikel ausführt, dass er
vorgehabt habe, sich diese beiden Kapazitäten für angewandte Judeophobie aus der
Nähe anzusehen, aber leider wegen eines Malheurs kurzfristig habe umdisponieren
müssen. Mit dieser - sarkastischen - Bezeichnung als "Kapazität" soll offenbar der Kläger als vermeintlich besonders großer Antisemit gekennzeichnet und erheblich
diskreditiert werden.
(…) Soweit der Kläger die Unterlassung der Äußerung in der Überschrift „Wie zwei
Juden für die Leipziger den Hitler machen“ begehrt, (…) besteht kein
Unterlassungsanspruch, weil insoweit der Beklagte die Grenze zur Schmähkritik nicht
überschritten hat. Bei der Auslegung der Überschrift des Artikels ist maßgeblich auf das
Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums und nicht auf die
subjektive Absicht des sich Äußernden und auch nicht auf das subjektive Verständnis
der von der Äußerung Betroffenen abzustellen. (…) Unter Beachtung
dieser Grundsätze ist der Überschrift in der Veröffentlichung des Beklagten ein
Vergleich des Klägers mit Adolf Hitler nicht zu entnehmen. Mit der plakativen,
drastisch überzogenen Formulierung in der Überschrift seines Artikels versucht der
Beklagte in erster Linie in provokanter Weise Aufmerksamkeit für seine Kritik an dem
Kläger und dem Autor Dr. M. und deren Auftritt auf einem Podium in der Leipziger
Universität zu erzielen. Ein tatsächlicher Vergleich des Klägers mit dem Handeln und
Wirken des Massenmörders im Dritten Reich, wie „der Kläger ist ein Antisemit wie
Hitler“ oder „ein Volksverhetzer wie Hitler“, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer
- auch bei sinngemäßer Auslegung- nicht aus der metaphorischen Formulierung "für die
Leipziger den Hitler machen".“
- Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Landgericht Frankfurt am Main
- Entscheidungsart:Urteil
- Datum:27.01.2006
- Aktenzeichen:2-03 O 485/05 und 2-03 O 498/05
Quelle:ra-online, Pressemitteilung Nr. 02/06 des LG Frankfurt am Main vom 27.01.2006